Forschung zu Digitalität im Islam und digitale Forschung zu islamischen Texten
Wie verändern sich Form und Inhalt muslimischen Selbstverständnisses im digitalen Raum? Und wie werden digitale Methoden zur Erforschung islamischer Schriften verwendet? Zur gemeinsamen Diskussion dieser Themen trafen sich Wissenschaftler_innen der AIWG-Forschungsgruppe „Islam und Digitalität“ kürzlich in Berlin.
Im Mai waren die Wissenschaftler_innen der AIWG-Forschungsgruppe „Islam und Digitalität: Medien, Materialität, Hermeneutik“ zu Gast am Berliner Institut für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, an dem das Teilvorhaben „Prophetische Tradition und Hadith im digitalen Raum“ beheimatet ist. Der erste Teil des Treffens diente dem internen Austausch zu bisherigen Forschungsergebnissen der Teilprojekte. Der sich auf historische Narrative in Onlinediskursen konzentrierende Standort Frankfurt stellte drei Beiträge vor.
Eine Untersuchung des Hashtags #ahlulbayt – d.h. der Familie des Propheten Muhammad – auf Instagram zeigte auf, dass religiöse Verehrung der Prophetenfamilie und die Erinnerung an spezifische historische Begebenheiten zwar innerislamische Konfessionslinien überschreitet, aber nichtsdestotrotz häufig als Marker konfessioneller Identität genutzt wird. Besonderer Bedeutung kommt hier auch schiitischen Fest- und Trauertagen zu, die offenkundig Anlass vieler Posts sind. Im Rahmen des Teilprojekts zu deutsch-muslimischer Erinnerungskultur auf sozialen Medien konnte auf Instagram die historische Persönlichkeit Malcolm X. als häufig rezipierter, schwarzer Muslim identifiziert werden. Insbesondere mit den Aussagen des amerikanischen Predigers zur Gleichheit der Gläubigen unterschiedlicher Hautfarben während der muslimischen Pilgerfahrt wird auch im deutschsprachigen Raum eine universelle Gleichheit unterschiedlicher Ethnien im Islam betont. Eine Fallstudie zu von revivalistisch-sunnitischen Akteuren auf Facebook vertretenen Geschichtsbildern zeigte eine geradezu heilsgeschichtlich zu verstehende Retrotopie auf – also den Wunsch, eine vergangene, als perfekt empfundene Epoche, wieder auferstehen zu lassen. Im Kern hängen die untersuchten Akteure einer Meistererzählung zur islamischen Geschichte an, die von einem kometenhaften Aufstieg in den ersten Generationen, einer daran anschließenden goldenen Blütezeit und schließlich einem schleichenden Niedergang erzählt; letzterer wird dabei eng mit dem europäischen Kolonialismus verknüpft. Das der Ästhetik audiovisueller Medien gewidmete Erfurter Teilprojekt steuerte eine Analyse der digitalen Selbstrepräsentation von offiziellen Accounts der Ahmadiyya Muslim Jamaat sowie Accounts von Anhänger_innen der Gruppierung in Deutschland bei. Gemeinsam ist beiden Accountarten, dass sie visuell kaum von der Bildsprache des muslimischen Mainstreams abweichen. Die Gruppenidentität wird insbesondere auf inoffiziellen Accounts nur punktuell über Text und Audio sichtbar. Aus dem Berliner Teilprojekt, das sich Hadithen im digitalen Raum widmet, wurde eine Versuchsanordnung vorgestellt, die mittels Algorithmen ermitteln soll, ob diese sich zur Überprüfung von Überliefererketten in der Hadithwissenschaft eignen – Ergebnisse stehen hier noch aus.
Als geladener Experte führte Dr. Joshua Little, aktuell Research Fellow an der Universität Groningen, mit seinem Vortrag in die Nutzung digitaler Hilfsmittel in der Erforschung von Hadithen ein. Little stellte vor, welche digitalen Hilfsmittel er in der Hadithforschung gängigen Isnad-cum-Matn Analyse verwendet. Bei letzterer handelt es sich um die Untersuchung unterschiedlicher Versionen überlieferter Aussprüche und Taten des Propheten Muhammads bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Überliefererketten und des Textes in ihren jeweiligen historischen Kontexten.
Die Forschungsgruppe nimmt im kommenden September am Deutschen Orientalistentag in Erlangen teil, wo sich einige der angesprochenen Themen wiederfinden werden. Das nächste reguläre Treffen der Kolleg_innen findet im November in Frankfurt statt.
Das Kooperationsprojekt „Islam und Digitalität“ wird an den Universitäten Frankfurt am Main, Berlin und Erfurt umgesetzt.
Mehr zum Forschungsprojekt können Sie hier nachlesen.