Online-Workshop „Memory in Digital Spaces“
Vom 05. bis 07. November richtete die AIWG-Forschungsgruppe „Islam und Digitalität“ den Online-Workshop „Memory in Digital Spaces“ aus. Der Workshop diente einerseits der Diskussion theoretischer Konzepte aus den Memory Studies sowie ihre Nutzbarmachung in digitalen Kontexten. Andererseits diente er dazu, den aktuellen Forschungsstand der beteiligten Wissenschaftler_innen vorzustellen. Die Beiträge drehten sich um muslimische Erinnerungskultur in digitalen Räumen, die Rolle islamischer Geschichte in der Identitätsbildung und die audio-visuelle Ausgestaltung entsprechender Materialien auf unterschiedlichen Social Media Plattformen.
In der ersten Keynote der Veranstaltung ging Prof. Dr. Armina Omerika (Frankfurt) auf muslimische Erinnerungskultur in Deutschland ein. Die Konstruktion muslimischer Identität fuße – wie andere Identitäten auch – auf kollektiver Erinnerung, so Omerika. Muslimische Geschichte ist in deutschen Mehrheitsdiskursen allerdings kaum oder nur stark vereinfacht – etwa auf Migrationsgeschichte – nachzuweisen. Materielle Zeugnisse muslimischer Geschichte in Deutschland sind in Museen kaum repräsentiert, liegen jedoch in bisher kaum erschlossenen Moscheearchiven vor. Forschung zu diesen muslimischen Erinnerungskulturen stellt dementsprechend ein Desiderat dar.
Dr. Akif Tahiiev (Frankfurt) zeigte auf, wie traditionelle Bildsprache schiitischer Erinnerungskultur, insbesondere bezugnehmend auf die zwölf Imame, auf Instagram in unterschiedlichen politischen Kontexten aktualisiert wird, um zeitgenössische Akteure in eine historische Linie mit den als heilig angesehenen historischen Persönlichkeiten zu setzen und sie so religiös zu legitimieren.
Zur Verwendung von Geschichte in revivalistisch-sunnitischen Nashidvideos auf YouTube sprach Nadeem Elias Khan (Frankfurt). Künstler aus unterschiedlichen revivalistisch-sunnitischen Denkrichtungen nutzen insbesondere Gefährten des Propheten Muḥammad als Referenz zu Aspekten frühislamischer Geschichte. Die sich nach Konfession unterscheidende Erinnerung an einzelne Gefährten wird hier eingesetzt zur Konstruktion einer spezifisch sunnitischen Identität als trennendes Element zu Nicht-Sunniten eingesetzt, insbesondere gegenüber Schiiten.
Die Darstellung frühschiitischer Geschichte in virtueller Realität war Thema des Vortrags von Dr. Fouad Marei (Frankfurt), dem Fellow der AIWG-Forschungsgruppe. Die Entwickler der von ihm vorgestellten App legten großen Wert auf historisch akkurate Darstellungen, wobei diese nichtsdestotrotz hinter religiösen Gepflogenheiten zurückstanden. Eine Möglichkeit, in der virtuellen Realität durch eigene Handlungen eine alternative Geschichte der Ereignisse während der Schlacht von Kerbela (680) zu schreiben, lehnten Nutzer_innen durchgehend ab.
Zu einem neuen Trend – der KI-gestützten Reise in die Vergangenheit – sprach Prof. Dr. Christoph Günther (Erfurt). Mit KI-generierten Videos wird Zuschauenden ein audio-visueller Zugang zu einer maschinenimaginierten, religiös als relevant verstandener Vergangenheit angeboten. Außer der Vergangenheit kann aber auch die Zukunft des teleologischen Geschichtsverständnisses im Islam sein – das in Himmel und Hölle unterteilte Jenseits. Gemein ist beiden KI-gestützten Reisen eine stark westlich geprägte Bildsprache.
In ihrem Vortrag untersuchte Lale Diklitaş (Frankfurt,) die Diskurse deutschsprachiger muslimischer Content Creator_innen auf Instagram zur islamischen Geschichte. Dabei zeigte sie auf, wie spezifische Ereignisse oder Persönlichkeiten als besonders erinnerungswürdig verstanden werden. Bemerkenswerterweise orientieren sich diese Influencer_innen sowohl gestalterisch als auch inhaltlich an anderen aktuellen Diskursen in der globalen Social Media Kultur.
Jasmin Eder (Frankfurt/ Erfurt) nahm die Social-Media-Aktivitäten der Ahmadiyya Muslim Jamaat in den Blick. Dabei beschäftigte sie sich mit Unterschieden in der Selbstidentifikation zwischen beruflich auf Social Media tätigen Mitgliedern und individuellen Influencer_innen aus der Gemeinschaft. Wie Diklitaş erkennt auch Eder Anleihen an breiteren Onlinediskursen, spezifisch der Meme Culture.
In der zweiten Keynote der Veranstaltung thematisierte Prof. Dr. Andrew Hoskins (Edinburgh) das Vergessen in der Ära des Digitalen und der künstlichen Intelligenz. Mit digitalem Vergessen meint Hopkins, dass die große Datenmenge, die durch digitale Speicherung angesammelt wird, zu einer Unzugänglichkeit dieser Daten führt. Damit gehe einher, dass Zeugnisse – etwa von Kriegsverbrechen – prinzipiell bekannt seien, aber keine Wirkmächtigkeit entfalten können. Diese Problematik sieht Hoskins durch die Verwendung von künstlicher Intelligenz zur Produktion von digitalen Medien verstärkt, da eine Verifizierbarkeit zeitgenössischer Quellen zunehmend verunmöglicht wird.
Dr. Ali Aghaei (Berlin) zeigte anhand des Werkes Ṣaḥīfat ar-Riḍā, welches dem 8. zwölferschiitischen Imam ʿAlī ar-Riḍā zugeschrieben wird, wie künstliche Intelligenz auch überkonfessionelle Verbreitung von Prophetenüberlieferungen sichtbar machen kann. Bemerkenswert dabei ist, dass sich selbst Überlieferungen, die inhaltlich Identität stiftenden Charakter aufweisen und klar einer Konfession zugeordnet werden können, in Hadithsammlungen sunnitischer, fünferschiitischer und zwölferschiitischer Provenienz finden.
Auf spezifisch für den Umgang mit Hadithen ausgelegten Apps lag der Fokus des Vortrags von Prof. Dr. Mohammad Gharaibeh (Berlin). Teils auf Datenbaken, teils auf gedruckten Werken basierend, setzten Hadith-Apps bekannte Prophetenüberlieferungen, z.B. durch themenspezifisch innovatives Clustern oder anwendungsbezogene Features – etwa das Hadith des Tages, in neue Sinnzusammenhänge. Überraschenderweise wird der konfessionelle Hintergrund der Entwickler_innen in den gezeigten Beispielen nicht offengelegt und ist ohne größere Vorkenntnisse nicht eruierbar.
Die Forschungsgruppe wird am 10. und 11. Juli 2026 die internationale Fachtagung „Islam & Digitality. Media, Materiality, Hermeneutics“ ausrichten.
Das Projekt „Islam und Digitalität: Medien, Materialität, Hermeneutik“ wird gemeinsam umgesetzt von Wissenschaftler_innen der Islamischen Theologie an der Humboldt Universität zu Berlin, der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität Erfurt im Rahmen der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG). Es wird gefördert durch das BMFTR.






