Ausbildungsangebote und Aufgaben
im europäischen Vergleich
Ausbildungsangebote und Aufgaben
im europäischen Vergleich
In Deutschland und einigen europäischen Ländern stellt sich eine äußerst relevante Frage im Hinblick auf den Islam im öffentlichen Raum, nämlich die hinsichtlich von Bedarfen und Strukturen für die inländische Ausbildung von muslimischem religiösem Personal. Dies betrifft insbesondere die Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen sowie den Einsatz in Moscheegemeinden. In diesem Kontext verschmelzen das politische Interesse an der Reduzierung staatlicher Einflüsse durch die Entsendung ausländischer Imame und das Anliegen von Muslim_innen, über fachkundig ausgebildetes religiöses Personal und passende Ansprechpartner_innen für örtliche Einrichtungen zu verfügen.
Die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft setzt sich aktiv in der Diskussion ein und trägt zur Entwicklung von Lösungsansätzen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis zu folgenden Aspekten bei:
Eine der gesellschaftspolitisch bedeutenden und grundlegenden Fragen in den Islamisch-theologischen Studien betrifft die Ausbildung akademisch qualifizierter Imame in Deutschland. Mit den in den Jahren 2010/2011 gegründeten Standorten für islamisch-theologische Studien an deutschen Universitäten wurde die öffentliche Erwartung verbunden, strukturelle und inhaltliche Voraussetzungen für in Deutschland studierte, akademisch qualifizierte religiöse Fachkräfte in deutschen Moscheen zu schaffen. Es gilt jedoch zu beachten, dass allein das Studium der Islamischen Theologie an einer deutschen Hochschule nicht ausreicht, um Imam zu werden.
Welche Qualifikationen sind erforderlich, um interessierten Nachwuchs für die vielfältigen Aufgaben als religiöse Leitung innerhalb und außerhalb der Religionsgemeinschaften zu befähigen? Was umfasst das Berufsbild eines Imams, und welche Erwartungen sind damit verbunden? Fragen dazu, wie religiöses Personal ausgebildet werden kann, bildet eine Schnittstelle zwischen der Islamischen Theologie an deutschen Hochschulen einerseits und den Religionsgemeinschaften andererseits. Dabei ist das Thema immer auch von vielfältigen Erwartungen geprägt, darunter auch öffentlichen Anforderungen.
Um einen übersichtlichen Kenntnisstand zur Sachlage zu erarbeiten, beauftragte die AIWG im Jahr 2019 die Erstellung einer Expertise. In dieser Expertise wurden die realen Erwartungen an das Berufsfeld von Imamen von Prof. Dr. Rauf Ceylan untersucht und Handlungsempfehlungen für eine geeignete Ausbildungsform entwickelt.
Für die Erstellung dieser Expertise führte der Autor umfangreiche Gespräche mit muslimischen Landesverbänden in Niedersachsen, darunter Schura, Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und Muslime in Niedersachsen, sowie mit dem Liberal-Islamischen Bund (LIB). Die Ergebnisse dieser Gespräche wurden in einer Bestandsanalyse zusammengefasst. Basierend darauf entwickelte der Autor eine Skizze mit Handlungsempfehlungen für eine zukünftige zusätzliche Imamausbildung. In seinen Empfehlungen schlägt er vor, einen Modellversuch zur Ausbildung von Absolvent_innen eines islamischen Theologiestudiums in Deutschland zu Imam_innen zu etablieren, wobei eine klare Aufgabenteilung zwischen Universität und Religionsgemeinschaften vorgesehen ist.
Die AIWG-Expertise wurde im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz (DIK) am 17. und 18. Juni 2019 in Hannover von Professor Dr. Ceylan zusammen mit der Geschäftsführung der AIWG präsentiert. Sie diente als Ausgangspunkt für eine ausgiebige Diskussion über die Bewertung des aktuellen Sachstands sowie zu geeigneten Ausbildungsmodellen und zur Rolle von Glaubensgemeinschaften mit ihrer Vielfalt und unterschiedlichen Bedürfnissen.
Die AIWG beteiligt sich immer wieder an politischen Diskussionen rund ums Thema Imamausbildung, so etwa in einer Videokonferenz am 10. November 2020 mit dem damaligen Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, bei der die Ausbildung religiösen Personals für islamische Gemeinden thematisiert wurde. Nach einer Rede folgte eine Diskussion unter geladenen Expert_innen, an der auch die AIWG durch ihre Geschäftsführerin Dr. Chbib teilnahm.
In der Diskussion wurden verschiedene Aspekte des Imamberufs beleuchtet. AIWG-Boardmitglied und Imam der Gemeinde Penzberg, Dr. Benjamin Idriz, betonte insbesondere die Bedeutung einer langfristigen und dauerhaften Anstellung für Imame. Er wies darauf hin, dass neben einer fundierten theologischen und praktischen Ausbildung vor allem deutsche Sprachkenntnisse sowie das Bekenntnis zum Rechtsstaat und zur Rechtsordnung von großer Bedeutung sind.
Wichtige neue Entwicklungen wurden dargelegt: Erstmals wurde das Islamkolleg Deutschland von den Osnabrücker Kollegen Dr. Esnaf Begić und Prof. Dr. Bülent Uçar vorgestellt. Das Islamkolleg würde im Rahmen eines bundesweiten Modellprojekts, das vom Bundesministerium des Innern und dem Land Niedersachsen gefördert werde (wie in der AIWG-Expertise vorgeschlagen), Curricula für die Ausbildung von Imamen und anderem religiösen Personal erstellen und ab 2021 mit der Ausbildung in deutscher Sprache beginnen. Ebenso präsentierte Prof. Dr. Mouhanad Khorchide neue Pläne zur Einrichtung eines Zertifikatskurses der Universität Münster in Kooperation mit dem nordrhein-westfälischen Landesverband des Bündnisses Malikitische Gemeinde zur Aus- und Fortbildung von Imamen in Nordrhein-Westfalen.
Besondere Fortschritte zeigten sich in konkreten Maßnahmen, wie der Gründung des Trägervereins „Islamkolleg Deutschland e. V.“ in Osnabrück, was während des Treffens bekanntgegeben wurde. Intensiv diskutiert wurde zudem die Herausforderung, bestehende Ausbildungsangebote der Glaubensgemeinschaften besser auf den Bedarf auszurichten und staatlich anerkennen zu lassen.
Die Leitung der AIWG nahm auch an einer Fachtagung zur Imamausbildung teil, die vom Koordinierungsrat der Muslime initiiert wurde, wo sie insbesondere die Perspektive der Gemeinden aufnahmen.
Die AIWG trug außerdem auf der Fachtagung zur praktischen Imamausbildung der Deutschen Islam Akademie in Berlin im Jahr 2020 durch ihren damaligen Geschäftsführer Dr. Engelhardt einen Beitrag vor. In diesem präsentierte sie eine Bestandsaufnahme der Ausbildungsmöglichkeiten zum Imam in Deutschland und wies auf verschiedene Ziele hin, die damit sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich-theologisch sowie gemeindlich verbunden sind.
Die AIWG legte in ihrem internationalen Programm, das vom Auswärtigen Amt zwischen 2018 und 2021 gefördert wurde, besonderes Augenmerk auf Fragen der muslimischen Seelsorge und Imamausbildung im internationalen Maßstab, insbesondere von Staaten mit ähnlichen Kontextbedingungen in Europa und Nordamerika.
Ein dedizierter Fokus auf Fragen der Imamausbildung wurde auf ihrer internationalen Konferenz in Berlin mit dem Titel „Muslim Religious Leadership in Europe and North America“ am 7. bis 9. Oktober 2019 gelegt. An der Veranstaltung nahmen insgesamt 35 Imame, Religionssoziologen, muslimische Theologen und Vertreter von Ausbildungsinstituten aus 14 Ländern teil. Gemeinsam diskutierten sie Fragen und Herausforderungen zu diesem Thema. Dabei wurde deutlich, dass es in den verschiedenen Ländern ähnliche Modelle für die Ausbildung von Imamen und Gemeindepersonal gibt, wobei diese jeweils durch den historischen, gesellschaftspolitischen und rechtlichen Kontext geprägt sind.
Da auf der Konferenz festgestellt wurde, dass es bislang an Übersichtsdarstellungen fehlt, hat die AIWG Geschäftsführerin gemeinsam mit Dr. Nils Vinding gemeinsam mit einzelnen Expert_innen aus 11 verschiedenen Ländern einen internationalen Bericht zum Kontext und Stand der Ausbildung muslimisch-religiösen Personals in Europa und Nordamerika herausgegeben.
Die AIWG beteiligt sich insbesondere mit ihrer wissenschaftlichen Expertise an der fortlaufenden Diskussion im Themenschwerpunkt der Anerkennung und des Ausbaus geeigneter Ausbildungs- und Fortbildungsstrukturen islamisch-religiösen Personals in Deutschland.
Hier finden Sie unsere Veröffentlichungen zum Themenbereich Imamausbildung
20. November 2020
Die Imam-Ausbildung in Deutschland gehört zu den zentralen Themen gesellschaftspolitischer Debatten, die sowohl muslimische Gemeinden als auch die Politik beschäftigen. Erst kürzlich wurde diese Thematik auf der Deutschen Islam Konferenz diskutiert. Das MENTi-Austauschtreffen im November haben wir für einen kritischen Austausch mit unseren Mentees zu aktuellen Modellen der Imam-Ausbildung genutzt.
12. November 2020
Welche Wege sollen bei der Ausbildung von Imamen in Deutschland künftig beschritten werden? Welche älteren und neuen Programme gibt es? Dies waren nur einige Aspekte, die am 10. November auf der Deutschen Islam Konferenz unter dem Thema „Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden“ diskutiert wurden.
8. April 2021
Die AIWG veranstaltete am 07. Dezember 2020 im Rahmen ihres Internationalen Programms einen hybriden Workshop in Frankfurt. Unter dem Titel „Building bridges between State and Muslim communities“ diskutierten ExpertInnen sowohl online als auch in Präsenz, Aspekte und Beispiele der Zusammenarbeit zwischen Staat und Muslimen zum Ausbau inländischer Ausbildungsmöglichkeiten muslimisch-religiösen Personals. In ihrem kurzen Bericht fasst die AIWG die Diskussion des Tages zusammen.