Erstes ITS-Colloquium beleuchtet mentale Gesundheit und Seelsorge im islamischen Kontext
Am 03.05.2024 fand die erste Veranstaltung im Rahmen des neuen AIWG-Formats ITS-Colloquium statt. Der Arbeitskreis Medizinethik und Islam sowie das Berliner Institut für Islamische Theologie (BIT) der Humboldt Universität zu Berlin hatten den Workshop gemeinsam organisiert. Mehr als 30 Personen, darunter Wissenschaftler_innen, Studierende der Islamischen Theologie und Seelsorger_innen, diskutierten am BIT über mentale Gesundheit und Seelsorge im islamischen Kontext.
Nach einer kurzen Begrüßung der Teilnehmenden durch Dr. Hadil Lababidi, Universität Zürich und Arbeitskreis Medizinethik und Islam, sowie Beate Anam, BIT und Arbeitskreis Medizinethik und Islam, beleuchtete Dr. Antonia Öksüzoğlu von der Forschungsstelle für religiöse Vielfalt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) das Konzept Seele. In ihrem Vortrag zur „Sorge um die Seele im interdisziplinären Diskurs“ thematisierte sie die Auffassungen von „Seele“ und „mentale Gesundheit“ unter anderem in der Philosophie, Theologie, Neurologie und Naturwissenschaft. Die hiermit verbundene Genese von dem, was „Seele“ ist, führte sie auf die frühen griechischen und arabischen philosophischen Erörterungen zurück, bevor sie auf zeitgenössische Konzepte, wie diejenigen des Hirnforschers Gerhard Roth, einging. Im Hinblick auf „Seelsorge“ hielt sie fest, dass die Praxis der muslimischen Seelsorge der Theorie vorausgehe.
Gülbahar Erdem, FAU und Muslimische Seelsorge e.V. (MUSE), referierte im Anschluss daran. In ihrem Vortrag „Zwischen traditionellen Narrativen und modernen Therapieformen: Herausforderung in der psychosozialen Versorgung muslimischer Patienten“ erörterte sie die Spannung zwischen dem Streben nach ganzheitlicher und kultursensibler medizinischer Versorgung einerseits und den Anforderungen einer professionellen Behandlung andererseits. Ein interdisziplinärer Dialog und die Integration traditioneller muslimischer Glaubensvorstellungen, mit Beachtung der innermuslimischen Vielfalt kann, laut Erdem, den Ausgleich zwischen religiösen Werten und die Methoden einer evidenzbasierten medizinischen Behandlung, besonders in der Psychologie, fördern.
Sind Vorurteile per se negativ? Welche Rolle spielt Rassismus in der Medizin und welche Konsequenzen hat er? Anhand dieser und anderer Fragen sensibilisierte Beyhan Bozkurt, Ruhr-Universität Bochum und International Psychoanalytic University Berlin, die Teilnehmenden in einem interaktiven Dialog für den „Umgang mit eigenen Vorurteilen in der Seelsorge: Erfahrungen aus der Praxis“. Mithilfe eines Fallbeispiels erklärte er, wie Seelsorger_innen mit Rassismus und Vorurteilen umgehen können. Abschließend betonte er die Relevanz, Themen wie Rassismus und Vorurteile bereits in Ausbildungskonzepten zur Seelsorge mitzudenken.
Dilek Uçak-Ekinci von der Université Fribourg und der Universität Zürich beschäftigte sich sodann mit Seelsorge im Kontext von Totgeburten. Anhand von Fallbeispielen zeigte sie, wie unterschiedlich ausgebildete Seelsorger_innen mit Totgeburten umgehen. Seelsorger_innen setzten sich in solchen Situationen verstärkt mit folgenden Aspekten auseinander: dem Umgang mit Emotionen wie etwa ein Gefühl der Wertlosigkeit bei den Betroffenen, dem Bedarf nach Ritualen und der Sensibilisierung von religiösen und traditionellen Deutungsangeboten von Totgeburten. Wie Uçak-Ekinci abschließend betonte, wurde die Rolle von Seelsorgenden traditionell von Frauen übernommen, die die Mütter bei einer Totgeburt körperlich und psychisch zu unterstützen pflegten.
Die Beiträge der Referent_innen werden in der Zeitschrift für Medizin, Ethik & Islam veröffentlicht.
Über die ITS-Colloquien
Im Rahmen von ITS-Colloquien können Wissenschaftler_innen der Islamischen Theologie und Religionspädagogik auf Antrag ein spezifisches Fachthema im Rahmen eines passenden Diskussionsforums behandeln. Mehr zum Format