Mit dem Propheten Muhammad ins Gespräch kommen? Der Hadith zwischen Lebensbedeutsamkeit und Diskrepanz in Geschichte, Theologie und Pädagogik

Projektbeschreibung

Die AIWG-Forschungsgruppe „Mit dem Propheten Muhammad ins Gespräch kommen? Der Hadith zwischen Lebensbedeutsamkeit und Diskrepanz in Geschichte, Theologie und Pädagogik“ beschäftigt sich mit den überlieferten Zeugnissen der prophetischen Verkündigung (Hadith) und fragt nach ihrer Bedeutsamkeit für Muslim_innen als Medium einer dialogischen Begegnung mit dem Propheten Muhammad. Trotz der Dominanz der Authentizitätsproblematik in zeitgenössischen muslimischen Diskursen und der damit einhergehenden „Vertrauenskrise gegenüber der kanonischen Kultur“ (J. Brown 2014), spielen Hadithe in der Praxis des Glaubensvollzugs immer noch eine erhebliche Rolle. Insofern Hadithe immer auch vor dem Hintergrund bestimmter Prophetenbilder rezipiert werden, stellen sie einen Bezug zur Person des Propheten her, der für Rezipient_innen als lebensbedeutsam und transformierend wahrgenommen werden kann. Um diese in der Forschung bisher unterbelichtete Erfahrungsdimension des Hadith zu verstehen und theologisch-pädagogisch fruchtbar zu machen, wird in diesem Projekt der Zusammenhang zwischen der dialogischen Funktion des Hadith und der Artikulation von Prophetenbildern historisch, hermeneutisch und didaktisch untersucht.

Dafür sollen in dem Projekt folgende Leitfragen geklärt werden:

  • Inwiefern stellen Hadithe in Religiosität, in Geschichte und Gegenwart sowie in Lehr- und Lernprozessen ein Medium für eine dialogische Begegnung mit dem Propheten Muhammad dar, die als orientierungs- und sinnstiftend erfahren werden kann?
  • Welche hermeneutischen und pädagogisch-didaktischen Möglichkeiten gibt es für die Islamische Theologie und Religionspädagogik, zugleich kritisch und konstruktiv mit der Diskrepanz umzugehen, die sich zwischen dem identitätsstiftenden Potenzial von Hadithen und den Anforderungen sich wandelnder Lebenswelten ergeben kann?

Das von diesen Fragestellungen ausgehende Forschungsvorhaben wird interdisziplinär anhand von vier Teilprojekten, die sich auf drei Standorte verteilen, durchgeführt:

In Tübingen wird unter der Leitung von Prof. Vimercati Sanseverino untersucht, wie die Resonanzqualität des Hadith mit dem darin implizierten Prophetenbild zusammenhängt und unter welchen hermeneutischen Bedingungen sich aus diesem Zusammenhang das sinn- und orientierungsstiftende Potenzial des Hadiths erschließt bzw. sich eine Diskrepanz zu zeitgenössischen Lebenswelten ergibt, die eine solche Erschließung beeinträchtigt. Dazu gehört 1) eine Analyse der Artikulation von Identitäts- bzw. Alteritätsdiskursen anhand von Prophetenbildern in der zeitgenössischen Sira-Literatur (narrativ-heilsgeschichtliche Darstellung vom Leben und Wirken des Propheten Muhammad) und 2) eine kritische Erörterung des muškil al-ḥadīṯ Ansatzes, also des theologischen Umgangs mit sog. „problematischen“ bzw. „kontroversen“ Hadithen, und die Erkundung eines zeitgemäßen Umgangs hiermit.

Am Standort Berlin wird unter der Leitung von Prof. Gharaibeh eruiert, wie 3) diese erfahrungsbezogene und identitätsstiftende Funktion des Hadith mit der historischen Entwicklung der literarischen Gestalt von Hadithsammlungen und der darin implizierten Artikulation von Prophetenbildern zusammenhängt und welche Rolle insbesondere die kontextbezogene Hadith-Exegese (asbāb al-wurūd) hierfür gespielt hat.

Schließlich wird in Gießen unter der Leitung von Prof. Sarıkaya nach 4) der Rolle und Funktion der dialogischen Erfahrungsdimension des Hadith in Lehr- und Lernprozessen in Schule und Gemeinde gefragt.

 

Projektziel

Das Projekt verfolgt das Ziel, zum einen zu verstehen, welche Prophetenbilder bei der Rezeption von Hadithen in unterschiedlichen Kontexten, dem interpretierenden und kritischen Bezug auf sie, bestimmend sind bzw. gleichzeitig generiert werden. Zum anderen soll eruiert werden, inwiefern und unter welchen theologischen Voraussetzungen Hadithe sich dafür anbieten, Leser_innen in ein sinn- und identitätsstiftendes Gespräch mit dem Propheten zu involvieren und wann ein solches Gespräch beeinträchtigt oder gar unmöglich wird. Es gilt also zu verstehen, unter welchen Voraussetzungen die Lebensbedeutsamkeit von Hadithen erschließbar und vermittelbar sein kann.

 

Vorgesehener Projekt-Output

Die ersten Ergebnisse der Forschungsgruppe werden auf den folgenden Workshops und Konferenzen vorgestellt:

  • Workshop für Lehrende in Schulen: Hadithe und Prophetenbilder – Bedeutung der Auswahl auf die Prophetenwahrnehmung und bisher ungenutzte Potenziale.
  • Workshop für Lehrende in Gemeinden: Hadith im gemeindlichen Unterricht – Potenziale und Herausforderungen.
  • Workshop für Multiplikator_innen aus Zivilgesellschaft, Seelsorge und Sozialer Arbeit. In diesem Workshop sollen Akteur_innen, Gefängnisseelsorger_innen und Institutionen aus der Radikalisierungsprävention für einen hermeneutischen und didaktisch-konzipierten Umgang mit den Hadithen, besonders denen mit Gewaltpotenzial, sensibilisiert werden.
  • Ein digitaler Workshop: Der Hadith und seine Lebensbedeutsamkeit für Muslim_innen in Geschichte und Gegenwart.
  • Internationale Abschlusstagung, auf der die Forschungsergebnisse präsentiert und mit internationalen Wissenschaftler_innen aufgearbeitet werden.
  • Ausstellung „Stell mir deinen Propheten vor“ Die Hauptergebnisse der Forschungsgruppe werden in einem Sammelband erscheinen. Daneben werden die Wissenschaftler_innen des Projektteams Einzelbeiträge ihrer Forschung in national und international renommierten Fachzeitschriften zur Veröffentlichung einreichen. Parallel dazu sollen Unterrichtsmaterialien und Handreichungen entstehen für Lehrende an Schulen und Gemeinden sowie weitere Akteur_innen und Multiplikator_innen aus der Bildungsarbeit.

 

Projektleitung

Prof. Dr. Ruggero Vimercati Sanseverino, Zentrum für Islamische Theologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Professur für Hadith-Studien und Prophetische Tradition

Prof. Dr. Yașar Sarıkaya, Islamische Theologie und ihre Didaktik, Justus-Liebig-Universität Gießen, Professur für Islamische Theologie und ihre Didaktik

Prof. Dr. Mohammad Gharaibeh, Berliner Institut für Islamische Theologie, Humboldt-Universität zu Berlin, Professur für Islamische Ideengeschichte

 

Mitarbeiter

Dr. Hossam Ouf, Zentrum für Islamische Theologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Dr. Besnik Sinani, Zentrum für Islamische Theologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Dr. Patrick Brooks, Islamische Theologie und ihre Didaktik, Justus-Liebig-Universität Gießen

Mustafa Cetinkaya, Berliner Institut für Islamische Theologie, Humboldt-Universität zu Berlin

 

 

Das Projekt „Mit dem Propheten Muhammad ins Gespräch kommen? Der Hadith zwischen Lebenswirklichkeit und Diskrepanz in Geschichte, Theologie und Pädagogik.“ wird gemeinsam umgesetzt von Wissenschaftler_innen an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, an der Humboldt Universität in Berlin und an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Rahmen der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) unter Vorbehalt der Förderung durch das BMBF.