Neue Zugänge zum Koran als normativem Text
Nach langer Corona bedingter Wartezeit konnte die internationale Tagung zur Koranhermeneutik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg nun endlich stattfinden. Vom 14. bis15. Oktober 2021 kamen Wissenschaftler_innen aus dem In- und Ausland digital und analog zusammen, um sich über die verschiedenen Herangehensweisen zur Auslegung des Korans auszutauschen, mit denen normative Rückschlüsse abgeleitet werden können.
Zur Tagung eingeladen hatte Prof. Dr. Mohammad Nekroumi von der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Tagung fand im Rahmen der AIWG Longterm-Forschungsgruppe „Normativität des Korans im Zeichen gesellschaftlichen Wandels“ statt. Diese Gruppe wird universitätsübergreifend von Prof. Dr. Mohammed Nekroumi, Prof. Dr. Fahimah Ulfat und Prof. Dr. Moez Khalfaoui von der Universität Tübingen geleitet.
Prof. Dr. Asma Barlas vom Ithaca College in New York war digital zugeschaltet und eröffnete die Tagung mit einer Keynote. In ihrem Impulsvortrag referierte sie zur Sakralität, Autorenschaft und Normativität des Korans.
„Zur Normativität der männlichen Lesart des Korans“
Barlas gab einen Überblick über die verschiedenen Auslegungsmethoden des Korans. Sie stellte fest, dass die meisten Auslegungen des Korans sowohl die Mehrdeutigkeit der Verse als auch deren Historizität berücksichtigen. Während es in vielen Bereichen plurale Auslegungen gebe, so sei die Normativität des Korans vor allem in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit größtenteils einseitig. Barlas nennt dies „die patriarchalische Lesart“ des Korans, die aus einer Hand voll Versen die Dominanz des Mannes über die Frau als Norm ableite. Bei der Auslegung dieser Verse würden historische Kontextualisierungen und die Ambiguität in den Hintergrund treten und aus männlicher Perspektive Eindeutigkeiten konstruiert.
Durch alle Vorträge zog sich das Motiv durch, dass der Versuch, Normativität aus dem koranischen Text selbst zu gewinnen, voraussetzt, dass dieser eindeutiger und klarer gelesen werden muss, als er in einigen Bereichen ist. Zur Steigerung der Eindeutigkeit müsse Ambiguität dabei eliminiert und die Anzahl der Zugangswege minimiert werden. Dazu würden die historischen Kontexte ausgeblendet, gegensätzliche Aussagen abrogiert und Inhalte vereinfacht werden. Dabei werde der Text gleichzeitig vieler seiner Dimensionen beraubt.
Die Referierenden plädierten für eine Weitung der Perspektive, einer ganzheitlichen Lesart des Korans, als historisch, literarisch und poetisch eingebetteten Text, der viele Dimensionen aufweist. Dies wurde als Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Textes selbst gesehen und nicht zuletzt als Schlüssel zur Beantwortung von normativen Fragen im Kontext historischen und gesellschaftlichen Wandels.