AIWG-Kongress „Islam in Texten, Normen und Lebenswelten“ bringt mehr als 100 Wissenschaftler_innen zusammen
Am Donnerstag, 23.06. und Freitag, 24.06.2022 hat die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft ihren ersten Fachkongress für islamisch-theologische Studien ausgerichtet. Unter dem Titel „Islam in Texten, Normen und Lebenswelten“ kamen mehr als 130 Wissenschaftler_innen der islamisch-theologischen Studien aus dem In- und Ausland nach Frankfurt. Mit insgesamt 24 Panels bot der AIWG-Kongress neben einer Bandbreite an aktuellen Forschungsthemen innerhalb der islamisch-theologien Studien in Deutschland viel Raum für Vernetzung, wissenschaftlichen Austausch und Erörterungen von praxisbezogenen Fragen.
Hochschulübergreifend und interdisziplinär besetzte Panels
Islamische Hermeneutik, theologische Hadithforschung, islamische Philosophie, Christlich-Muslimische Relationen im 19. Jahrhundert und muslimische Seelsorge: der Kongress bot ein volles Programm.
In der Sektion „Lebenswelten“ startete der Donnerstag beispielsweise mit dem Panel „Neue Wege zu einer lebensorientierten Wissenschaft? Sozialprofessionelles Handeln im Kontext islamischer Theologie“. Prof. Dr. Naime Çakır-Mattner, Universität Gießen, stellte in ihrem Vortrag erste Überlegungen zu einer praxisbezogenen Theologie mit dem Schwerpunkt „Soziale Arbeit“ an. Soziale Arbeit, so die These von Prof. Çakır-Mattner, sei eine Bezugswissenschaft für die Islamische Theologie. Einerseits stelle sich hier die grundlegende Frage, aus welchen Disziplinen die praxisbezogene islamische Theologie ihre Theorien generieren könne. Andererseits ergäben sich ganz praktische Fragestellungen zu Religion, Diversität und Sozialer Arbeit. Christina Lux, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der AIWG, stellte sodann die ersten Ergebnisse der Verbleibstudie „Berufsfeld Islam?“ vor, die sich mit dem Berufseinstieg und dem weiteren beruflichen Verbleib von Absolvent_innen der islamisch-theologischen Studien auseinandersetzt. In ihrem Vortrag ging sie vor allem auf die Hürden und Herausforderungen im Berufsfeld der Sozialen Arbeit ein. Dr. Almıla Akca, Humboldt Universität zu Berlin, präsentierte schließlich ihre Perspektive zu vielfältigen religiösen Autoritäten in den Moscheen und den Chancen für eine professionelle Gemeindearbeit und stellte die Kompetenzen und Ressourcen in der Moscheegemeinde dar. Dabei hinterfragte sie die häufige Konzentration öffentlicher Debatten auf Imame und plädierte für eine erweiterte Betrachtungsweise von religiösen Akteur_innen und Autoritäten.
Am Nachmittag des ersten Kongresstages stand im Panel „Das Profil muslimischer Seelsorge zwischen Praxis und Konzept“ Seelsorge im Gesundheitsbereich im Mittelpunkt. Ein besonderes Augenmerk lag hierbei auf den Herausforderungen, ein konkretes Profil für die muslimische Seelsorge und institutionelle und länderspezifische Kontexte in der Praxis zu erarbeiten. Dazu wurde die kultursensible Versorgung am Lebensende mit Bezug auf die seelsorgliche Versorgung skizziert.
Der zweite Kongresstag startete unter anderem mit der Projektvorstellung „Linked Open Tafsīr“, der gleichnamigen AIWG Longterm-Forschungsgruppe sowie einem Roundtable zu „islamischen Bestattungen in Deutschland“. Dr. Misbahur Rehman und Sajawel Ahmed, beide von der Goethe-Universität Frankfurt sowie der Koordinator der Projektgruppe, Tuğrul Kurt, Humboldt-Universität zu Berlin, berichteten über ihre Arbeit an der Erstellung einer Online-Datenbank zu frühislamischen exegetischen Überlieferungen. Dabei zeigten sie die verschiedenen Etappen beim Aufbau der Datenbank zum Korankommentar (Tafsīr) des muslimischen Gelehrten aṭ-Ṭabarī sowie ihre Funktionalität auf.
AIWG-Forschungsfellow Prof. Dr. Thomas Lemmen stellte parallel dazu auf dem Roundtable die ersten Ergebnisse seines Forschungsprojekts zu islamischen Bestattungen in Deutschland vor. Nach Impulsen von Prof. Dr. Serdar Kurnaz, Berliner Institut für Islamische Theologie, Humboldt-Universität zu Berlin, zu islamrechtlichen Perspektiven auf islamische Bestattungen in Deutschland sowie von Dr. Özgür Uludağ, Journalist und AIWG Praxisfellow, zu Praxisfragen islamischer Bestattungen erfolgte eine Diskussion mit den Teilnehmer_innen an der Schnittstelle zwischen Theologie und Praxis, in der aktuelle Fragen von Bestattungen auf deutschen Friedhöfen benannt und aus verschiedenen Perspektiven erörtert wurden.
Abwechslungsreiches Rahmenprogramm
In drei interaktiven Forum boten sich den Teilnehmer_innen Möglichkeiten zum persönlichen und fachlichen Austausch und zur Vernetzung.
Unter dem Titel „ Praxisprojekte und Praxisperspektiven“ konnten die Kongressteilnehmer_innen die AIWG-Praxisfellows Nilgün Akinci, Saliha Soylu und Özgür Uludag und ihre Projekte näher kennenlernen sowie mit den Autoren der aktuellen AIWG-Praxisperspektive „Islamrechtliche Fragestellungen in der Akutmedizin“, Prof. Dr. Serdar Kurnaz und Dr. med. Assem Aweimer, ins Gespräch kommen.
Parallel dazu bot sich die Gelegenheit zum Austausch mit den AIWG-Forschungsfellows Prof. Dr. Thomas Lemmen, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Dr. Sara Kuehn, Universität Wien, Dr. Mansooreh Khalilizand und Dr. Ali Ghandour, beide von der Universität Münster, die Einblicke in ihre Forschungsarbeiten gaben.
Mit dem dritten Programmpunkt „Frauen in den ITS“ schließlich wurde ein Raum geschaffen, in dem sich Wissenschaftlerinnen über ihre Erfahrungen mit Chancen, Herausforderungen und Benachteiligungen im Berufsleben austauschen und sich untereinander vernetzen konnten.
Der erste Fachkongress der AIWG bildete den aktuellen Stand sowie die Bandbreite der derzeitigen Forschung innerhalb der islamisch-theologischen Studien ab, die zu einem großen Teil inter- und transdisziplinär ausgerichtet sind. Beiträge zur Entwicklung der islamisch-theologischen Studien, zu methodischen und theoretischen Querschnittsfragen sowie zum Verhältnis zu ihren Nachbarsdisziplinen waren ebenso präsentiert. Hierbei richteten einige Referent_innen den Blick auf Frage- und Themenstellungen zum Islam im deutschsprachigen Raum oder im internationalen Vergleich sowie auf den Transfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
Die AIWG wird im Nachgang des Kongresses Mitschnitte ausgewählter Panels auf ihrem YouTube-Kanal veröffentlichen.