Fachtagung beleuchtet verschiedene Facetten von Diversität
Am 17. und 18.11.2023 hat die AIWG in Kooperation mit dem Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) die internationale Fachtagung „Being Muslim in Europe – Orienting oneself in the context of “good” and “bad” diversity“ am Campus Westend in Frankfurt am Main ausgerichtet. 25 Forscher_innen aus Deutschland, der Schweiz, Dänemark, den Niederlanden und Italien diskutierten zwei Tage lang darüber, wie das Konzept der „Diversität“ in Migrationsgesellschaften an Bedeutung gewonnen hat und wie es hier zu einer Diskrepanz zwischen „guten“ oder legitimierten Formen der Vielfalt und eher „negativ“ konnotierten Kategorien von Vielfalt kommt.
Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, wie eher marginalisierte Kategorien der Vielfalt, beispielsweise die religiöse Zugehörigkeit, die Orientierung bezüglich der Aushandlung von Islamizität und gesellschaftlicher Zugehörigkeit im Kontext eines pluralistischen und säkularen Gesellschaftsrahmens, beeinflussen.
Den Auftakt der Tagung bildeten die Grußworte von Prof. Bekim Agai, Direktor der AIWG, und Prof. Hansjörg Schmid, geschäftsführender Direktor des SZIG. Prof. Agai betonte, dass Diversität für den muslimisch-europäischen Kontext ein komplexes Feld sei, in dem Muslim_innen nicht eindeutig markiert wären, sondern in dem sie sich bewegten und orientierten. Prof. Schmid erklärte, dass die Konzepte „Diversität“ und „Orientierung“ die Basis für ein anwendungsorientiertes Forschungsprojekt im SZIG bildeten, das verschiedene Forschungsprofile, z.B. systematische Perspektive des islamischen Denkens, Seelsorge, Bildung und öffentliche Diskurse, umfasst. Das Projekt zielt darauf ab, einen Beitrag für die Gesellschaft und die muslimischen Gemeinschaften zu leisten, indem Diversität und Orientierung nicht nur im muslimischen Kontext, sondern auch im Rahmen der breiten gesellschaftlichen Debatte erörtert werden.
Die erste Keynote „Whose Diversity? Some Reflections about Categories of Religious and Cultural Inclusion and Exclusion Processes with a Particular Focus on Muslims in Europe“, befasste sich damit, wie das Konzept der Diversität danach strebt, unterschiedliche Zugehörigkeiten zu unterscheiden, dessen Anwendung jedoch trotz guter Absichten nicht frei von Vereinfachungen und unbeabsichtigten Folgen ist. Im ersten Teil des Vortrags gab die Referentin, Prof. Monika Salzbrunn von der Universität Luzern, einen Überblick über konstruktive Ansätze zur Diversität unter Berücksichtigung intersektionaler Elemente. Im zweiten Teil besprach sie Möglichkeiten, wie Vielfalt in spezifischen politischen Kontexten ausgetragen werden kann. Dabei wandte sie die Situationsanalyse an, um zu zeigen, wie Menschen ihre Zugehörigkeit in bestimmten Situationen, nicht nur aus der ethischen Perspektive, sondern auch aus einer situationsbezogene Perspektive, ausüben.
Die zweite Keynote hielt Dr. Mohammed Hashas von der Universität Rom. Unter dem Titel „European Islamic thought: Revisiting moral categories“ erörterte er die Frage des Muslimseins aus verschiedenen Perspektiven, etwa Sufismus und Philosophie. Er stellte ontologische und epistemologische Zugänge in der islamischen Ethik dar, die sich mit dem Thema Diversität überschneiden, und präsentierte eine Typologie des muslimisch-europäischen ethischen Denkens. Die von ihm vorgestellte Typologie erläuterte er beispielhaft anhand drei muslimischer Intellektueller: Frithjof Schuon (1907-1998), Alija Izetbegović (1925-2003) sowie Shabbir Akhtar (1960-2023).
In drei Panels präsentierten Forscher_innen sodann verschiedene Zugänge beziehungsweise Forschungsprojekte zum Tagungsthema. Beim ersten Panel mit dem Titel “Diversity as a normative construction: ‘Islam’ and ‘good’ / ‘bad’ diversity in European social discourses”, befassten sich Prof. Dr. Schirin Amir-Moazami, Freie Universität Berlin, und Sébastien Dupuis, SZIG, mit der sozialen Konstruktion von Diversität in europäischen Diskursen und den normativen Aspekten, insbesondere die dichotome Einteilung von ‚guter‘ und ’schlechter‘ Diversität. Dabei wurden empirische Befunde über Strategien vorgestellt, mit denen sich muslimische Gemeinschaften von essentialisierenden Interpretationen ihrer vielfältigen Zugehörigkeit emanzipieren.
Der zweite Tag wurde mit dem Panel „Means of orientation: Young Muslims navigating multiple belongings in the context of diverse societies“ eröffnet. Dabei präsentierten Betül Karakoç, Goethe-Universität Frankfurt, und Zeinab Ahmadi, SZIG, ihre Projekte bezüglich der Herausforderungen, die junge Muslim_innen in vielfältigen Gesellschaften erleben, mit Fokus auf die Prozesse der Zugehörigkeit und Grenzziehung in der Gesellschaft, wie etwa den Narrativen dichotomer Konstruktionen wie „wir“ versus „sie“.
Im Fokus des dritten und letzten Panels der Fachtagung „Negotiating and navigating diversity in Islamic knowledge discourses” stand die Konzipierung und Interpretation von Diversität im zeitgenössischen islamischen Denken. Prof. Yaser Ellethy, Vrije Universiteit Amsterdam, und Dominik Müller, SZIG, bezogen in ihren Ausführungen theologische, ethische und rechtliche Perspektiven aus verschiedenen islamischen Wissensdiskursen mit ein.
Ein detaillierter Tagungsbericht wird im Jahr 2024 auf den Homepages der AIWG und des SZIG veröffentlicht.