Fachtagung erörtert Bedarfe an Professionalisierung und Vertrauensbildung
In Zusammenarbeit mit der AIWG und dem BMBF geförderten Projekt „Wechselwirkungen: Gesellschaftliche Wirkungen von Islamismus in Deutschland und Europa“ hat der Lehrstuhl Islamisch-Religiöse Studien mit Schwerpunkt Religionspädagogik/Glaubenslehre am Department Islamisch-Religiöse Studien der FAU Erlangen-Nürnberg Anfang November die zweitägige Fachtagung „Professionalität und Vertrauensbildung im Kontext von Islam und Bildungsarbeit“ veranstaltet. Unter der Tagungsleitung von Prof. Tarek Badawia, Dr. Said Topalović und Dr.in Fatma Aydınlı kamen zahlreiche Fachwissenschaftler_innen aus der Islamischen Theologie und Religionspädagogik, Referent_innen zentraler Einrichtungen für Lehrerfortbildung, Lehrkräfte des Islamischen Religionsunterrichts, Ministerialrät_innen der Kultusministerien und Studierende der Islamischen Theologie zusammen.
Prof. Dr. Tarek Badawia, Department Islamisch-Religiöse Studien der FAU Erlangen-Nürnberg, sprach in seiner Begrüßungsrede von Zeiten zunehmender Polarisierung und Spaltungsdiagnosen in denen der islamische Religionsunterricht als Projektionsfläche diene. Es würden unterschiedliche Erwartungen aus Gesellschaft und Politik an das Schulfach herangetragen. Doch wie gehen Lehrkräfte und Vertreter_innen aus Wissenschaft und Praxis mit diesen Herausforderungen um? Als zentral habe sich nach Prof. Dr. Badawia der Bedarf an Professionalisierung und Vertrauensbildung herausgestellt.
Prof. Dr. Mathias Rohe, Zentrum für Islam und Recht in Europa der FAU Erlangen-Nürnberg, stellte in seinem Eröffnungsvortrag zunächst die Frage nach der Professionalität worin und der Vertrauensbildung gegenüber wem. Er identifizierte unterschiedliche Ebenen auf denen Professionalisierung und Vertrauensbildung notwendig seien. Eine Ebene stelle dabei die Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit dar, hierin sehe er besonderen Handlungsbedarf. Veröffentlichte Studien zeichneten positive Evaluationen des Islamunterrichts, fänden allerdings kaum medialen Anklang. Ziel des islambezogenen Bildungsbereiches sollte es sein, Menschen auch bei schwierigen Themen sprechfähig zu machen und Argumentationsgrundlagen anzubieten. Sich dem anschließend sprach Prof. Dr. Bülent Uçar, Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück, zum Spannungsfeld von Vertrauen und Misstrauen. Er skizierte die Entwicklung eines historisch-kollektiven Misstrauens gegenüber Muslim_innen und wies auf bis heute verbreitete antimuslimische Narrative hin. Er sprach konkrete Optionen an, wie solch ein Misstrauen u.a. durch transparente Kommunikation und den Aufbau von belastbaren institutionellen Strukturen entgegengewirkt werden könne.
AIWG-Geschäftsführerin Dr. Raida Chbib beleuchtete im Panel Professionalisierung in Wissenschaft und Bildung die gesellschaftlichen Anforderungen an islamtheologische und -pädagogische Studien (ITS) in den vergangenen fünf Jahren. Das Panel nahm die Professionalisierung von pädagogischen Aufgaben- und Verantwortungsfeldern als Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Forschung in den Blick. Sie konstatierte, dass sich religions- und bildungspolitischer Wandel sofort auf die Religionspädagogik auswirke. Momentan würden bei der medialen Darstellung des islamischen Religionsunterrichts negative Themen wie Islamismus und Radikalisierung überwiegen. Diese Engführung des medialen Diskurses spiegele allerdings nicht die Diversität des Faches oder die vielfältige Nachfrage an Themen seitens der Gesellschaft wider. Die an den Vortrag anschließenden Diskussionen drehten sich sodann um die Möglichkeiten, Misstrauen entgegenzuwirken, Gegennarrative zu entwickeln und mehr Vertrauen aufzubauen. Anschließend präsentierten die Autoren der Studie „Von einer »Phantom-Lehrkraft« zum »Mister Islam«“ Prof. Tarek Badawia, Dr. Said Topalović und Aida Tuhčić ihre Forschungsergebnisse zur Lehrerprofessionalität im Islamunterricht aus professionstheoretischer Perspektive.
Fragen aus der Praxis an die Wissenschaft
Die folgenden Panels und Vorträge thematisierten sowohl den Bedarf an der Professionalisierung von Islamlehrkräften als auch an der Ausbildung und Qualifizierung von Personal in der Sozialarbeit, Seelsorge und Erwachsenenbildung. Zudem problematisierten die Vortragenden die verschiedenen Anforderungen und Erwartungen mit denen sich Islamlehrkräfte konfrontiert sehen. Die Aufgaben von Lehrkräften am Standort Schule seien komplexer geworden, es strömten Erwartungshaltungen seitens der Religionspolitik, der Religionsgemeinschaften, der Eltern, der Schüler_innen, der Schulleitung und der Kolleg_innen auf diese ein. Offene Fragen, die aus der Praxis an das Fach herangetragen werden, sind: Wie viel religiöses Lernen ist Ziel am Lernort Schule? Was ist die Aufgabe von religiösem Lernen am Lernort Moschee? Wie viel Religion gehört in einen Religionsunterricht?
Ebenso wurde die schulische Präventionsarbeit diskutiert. So wurde darauf hingewiesen, dass Religion als Phänomen im pädagogischen Feld nicht allein betrachtet werden könne und in der Praxis die Gewaltprävention im Fokus stünde. Religiöse Bildung werde als Mittel gegen Radikalisierung sowohl in der schulischen als auch in der außerschulischen Präventionsarbeit gesehen. Meist seien die Angebote der Präventionsarbeit im Rahmen der Demokratiebildung allerdings an eine bestimmte Klientel gerichtet, etwa an Muslim_innen, dabei brauche es Demokratiebildung im Allgemeinen.
Neben der dezidiert fachspezifischen und praxisnahen Perspektive auf den Islamunterricht ermöglichte die Teilnahme politischer Akteur_innen einen Einblick in landesspezifische bildungspolitische Perspektiven. Insbesondere Modelle aus Niedersachen und Bayern wurden dabei besprochen. Weiterhin verdeutlichten die Vortragenden die Wechselwirkungen zwischen Politik, Gesellschaft und muslimischen Gemeinden.
In den die Tagung abschließenden Workshops wurden aktuelle didaktische Herausforderungen reflektiert und konkrete Handlungsoptionen für die Praxis des Islamunterrichts ausgearbeitet.
Die Fachtagung verdeutlichte, dass in einer Gesellschaft, die sich durch religiöse und weltanschauliche Pluralität auszeichnet, Vertrauen und Professionalisierung von zentraler Bedeutung sind. An den Islamunterricht und an die Islamlehrkräfte sind dabei hohe Erwartungen geknüpft, denen nur mit einer kontinuierlichen Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften begegnet werden kann. Dabei ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Politik, Gesellschaft und den muslimischen Gemeinden essentiell.
Die Vorträge der Fachtagung werden in einem Sammelband erscheinen.