Fachtagung diskutiert Militärseelsorge für muslimische Soldat_innen
Mehr als 3.000 Soldat_innen muslimischen Glaubens dienen in der Bundeswehr. Seelsorgerisch betreut werden sie bislang nicht. Gemeinsam mit dem Islamkolleg Deutschland (IKD) hat die AIWG am Samstag, den 4. November 2023, zur interreligiös besetzten Fachtagung „Islamische Militärseelsorge: Erfahrungen und Perspektiven für Deutschland“ nach Berlin geladen, um unter anderem folgende Fragen zu diskutieren: Welchen Bedarf gibt es nach islamischer Seelsorge in der Bundeswehr? Was kann Deutschland von seinen Nachbarländern wie Frankreich, Österreich oder der Schweiz lernen, in denen islamische Militärseelsorger_innen Soldat_innen bei seelischen Krisen oder religiösen Anliegen schon heute unterstützen?
Eröffnet wurde die Tagung von Dr. Bülent Ucar, Professor der Islamischen Theologie an der Universität Osnabrück und wissenschaftlicher Direktor des IKD. AIWG-Geschäftsführerin Dr. Raida Chbib unterstrich in ihrem Part noch einmal die aktuelle Bedeutung des Konferenzthemas. So finde die Tagung angesichts zweier Kriege direkt vor Europas Haustür nicht nur inmitten einer Zeit globaler sicherheitspolitischer Fragilität, sondern auch inmitten polarisierender Debatten rund um die aktuellen Konflikte statt. Die Rolle der Bundeswehr werde zukünftig also wieder wichtiger. Daneben spiegele sich die Pluralität der deutschen Gesellschaft mittlerweile auch beim Militär wider. Eine wachsende Zahl von in Deutschland beheimateter junger Menschen muslimischen Glaubens diene in der Bundeswehr. Daraus ergebe sich für die Islamische Theologie die Aufgabe, zeitgemäße theologische Antworten auf religiöse Fragen zu finden, die auch dem Militäralltag der Soldat_innen wie beispielsweise der berufliche Einsatz in Extremsituationen gerecht werde.
Nach der Begrüßung wurde das Thema Militärseelsorge zunächst aus islam-theologischer Perspektive beleuchtet. Danach folgten Erfahrungsberichte aus der Praxis, unter anderem von Oberleutnant Halil Topcuk von der Bundeswehr Universität in München. Seinen Schilderungen zufolge werde islamische Seelsorge vor allem dort benötigt, wo es um Fragen der Verpflegung, der Entwicklung und/oder Distanzierung von Religiosität während des Diensts, den Umgang mit religiösen Ritualen wie Beten und Fasten sowie die intraislamische Vielfalt gehe. Die darauffolgenden Erfahrungsberichte aus der Praxis lenkten den Blick sodann in die europäischen Nachbarländer Österreich und Schweiz. Hajret Beluli, Militärseelsorger für Westösterreich, stellte etwa die Geschichte und Entwicklung der Seelsorge in Österreich seit dem 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart dar und erläuterte die verschiedenen Herausforderungen, denen er als Militärseelsorger bei seiner täglichen Arbeit begegne, beispielsweise Arbeitsüberlastung, unzureichende finanzielle Ressourcen sowie fehlende Fortbildungsmöglichkeiten.
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Prof. Dr. Thomas Elßner, katholisches Militärbischofsamt, Ayman Mazyak, Zentralrat der Muslime, Merle Spellerberg, Abgeordnete im Deutschen Bundestag, und Rabbiner Nils Ederberg, stellvertretender Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, unter anderem über politische Initiativen im Bundestag zur Einrichtung einer Militärseelsorge für Soldat_innen muslimischen Glaubens, den Umgang mit Pluralität und Diversität in der Bundeswehr sowie der Kooperation und Koordination zwischen den muslimischen Verbänden bei der islamischen Militärseelsorge. Am Anfang weiterer Bemühungen müsse jedoch zunächst eine Bedarfsanalyse unter Einbindung der muslimischen Soldat_innen stehen.
Die Diskussion rund um die Etablierung eines Angebots für muslimische Soldat_innen bewegte sich einerseits zwischen allgemeinen übergreifenden Angeboten von kultur- und religionssensibler Seelsorge und spezifischen Angeboten einer muslimischen Seelsorge neben der jüdischen und christlichen andererseits. Wie eine solche Militärseelsorge ausgestaltet werden kann, konnte nicht erörtert werden, sodass es weiterer Diskussionsforen bedarf, zu der die AIWG gemeinsam mit dem Osnabrücker Institut einladen wird.