Mekka Pilger_innen in Fotografie und Film
Wann sind die ersten Foto- und Videodokumentationen der islamischen Pilgerfahrt nach Mekka entstanden? Wer hat die Hadsch damals dokumentiert? Und wie wurden Muslim_innen und ihre Religionspraxis präsentiert? Diese und andere Fragen haben unsere Alumni_ae, darunter ehemalige Mentees und AIWG-Praxisfellows, beim digitalen ALUMNi-Austauschtreffen am 27. Februar 2023 diskutiert.
Mit einem Einstiegsimpuls berichtete Rukayyah Reichling, Doktorandin an der Universität von Amsterdam und ehemalige Mentee, über spätkoloniale Hadsch Dokumentationen in Fotografie und Film. Die ersten Fotoaufnahmen von Mekka, erklärte Rukayyah Reichling, wurden 1880 von Muhammad Sadiq Bey (gest. 1902) aufgenommen, einem ägyptischen Kolonel und Führer der Hadsch-Karawane aus Kairo. Als erster westlicher Fotograf habe der berühmte, niederländische Islamwissenschaftler Christiaan Snouck Hurgronje (gest. 1936) fünf Jahre später Fotos von muslimischen Pilger_innen unter anderem aus Indonesien, der damaligen Kolonie der Niederlande, gemacht. Vorerst fotografierte er die muslimischen Pilger_innen in der Hafenstadt Jeddah, wo sich die europäischen Konsulate befanden. Später gelang es ihm als scheinbarer Konvertit, für begrenzte Zeit Mekka zu betreten und dort mit Hilfe eines mekkanischen Arztes die heilige Stätte fotografisch aufzuzeichnen.
Bildunterschrift: Pilger aus Niederländisch-Ostindien an Bord des Dampfers „Koninklijke Rotterdamsche Lloyd“, Quelle: EYE Film Museum, Amsterdam, FOT 54043.
Rukayyah Reichling legte dar, dass die Pilgerfahrt und das Gebiet der Kaba in westlichen Kreisen oft ein Mysterium darstellten, unter anderem weil Nicht-Muslim_innen die Einreise in die heilige Stätte nicht gewährt wurde. Vor fast einem Jahrhundert gelang es dem niederländisch-indischen Filmregisseur George Krugers (gest. 1964) dank seines Netzwerks und seines Glaubensbekenntnisses zum Islam, Mekka mit einer Gruppe indonesischer Pilger_innen zu betreten und die Pilgerfahrt zu verfilmen. Im Anschluss seiner Reise veröffentlichte er 1928 den ersten Stummfilm über die Hadsch.
Diese Archivmaterialien bilden, Rukayyah Reichling zufolge, nicht nur visuelle Quellen über Muslim_innen und ihre Kulturen, sondern präsentieren auch deutlich einen „kolonialen Blick“ auf Mekka. Im Zusammenhang mit dem Entstehungskontext der Aufnahmen diskutierten die Alumni_ae darüber, wie diese Foto- und Videodokumentationen wirkten. Es wurde auf die Ermächtigung der Videografen zur Fremddarstellung von Muslim_innen und ihren Kulturen hingewiesen. Diese Abbilder würden nicht nur Machtstellungen widerspiegeln, sondern auch viel über den Fotografen selbst und seine Vorstellungen von den als die „anderen“ konstruierten Muslim_innen aussagen.
Am Beispiel der feierlichen Einreise des saudischen Königs nach Mekka, in der Videodokumentation von George Krugers, wurde auch der Aspekt der muslimischen Selbstinszenierung im Rahmen des kolonialen Systems thematisiert. Die Alumni_ae diskutierten, inwiefern heilige Stätten und islamische Religionspraxen, wie die Pilgerfahrt, als Mittel zur Selbstdarstellung und Machtdemonstration genutzt werden konnten.
Bildunterschrift: George Krugers während einer Filmaufnahme, Quelle: Universitätsbibliothek Leiden, Or. 27.021.
Kommerziell versus spirituell
Mit Verweis auf die Machtstellung der niederländischen Kolonialherren demonstrierte Rukayyah Reichling, dass im Zusammenhang mit der Hadsch auch wirtschaftliche Interessen und politische Kontrolle eine wichtige Rolle spielten: Der niederländische Staat hatte das Monopol, Hadsch-Pässe auszustellen und die Reisen der Pilger_innen von Indonesien nach Mekka abzuwickeln. Dies könne auch als bürokratische und administrative Maßnahmen für politische Kontrolle gedeutet werden.
Der Aspekt der wirtschaftlichen Interessen wurde auf heutige Hadsch und Omrah (kleine Pilgerfahrt nach Mekka) Regelungen bezogen. Die Alumni_ae kritisierten die zunehmende Kommerzialisierung der heiligen Stätte und stellten finanzielle Hürden wie die hohen Einreisekosten für die Hadsch infrage. Diese Hürden würden den religionspraktischen Bedürfnissen entgegenstehen. Sie berichteten auch von eigenen Erfahrungen in Mekka und bemängelten die defizitäre Infrastruktur. Diese Aspekte würden sich negativ auf die eigene Religionspraxis und Spiritualität während der Pilgerreise auswirken.
Durch das Austauschtreffen konnten die Alumni_ae Einblicke in Foto- und Videoaufnahmen der Hadsch und von Muslim_innen aus spätkolonialer Perspektive bekommen und darüber reflektieren, wie mediale Fremddarstellungen von Muslim_innen auf sie wirken. Das digitale Treffen bot Gelegenheit, sich über Erfahrungswerte zur islamischen Pilgerfahrt auszutauschen und in diesem Zusammenhang kritisch über wirtschaftliche Interessen zu reflektieren. Einen 3-Minuten-Pitch von Rukayyah Reichling, der ihre Recherchearbeit zusammenfasst, können Sie hier einsehen.
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