Welche religionsethischen Fragen stellen sich in intensivmedizinischen Situationen?
Die AIWG veranstaltete am 26. November ihren siebzehnten Roundtable mit dem Titel „Islamrechtliche Fragen in akut-intensivmedizinischen Entscheidungssituationen“. Es war der fünfte digitale Roundtable der AIWG, an dem 24 Wissenschaftler_innen aus den islamisch-theologischen Studien sowie Mediziner_innen verschiedener Fachgebiete teilnahmen. Diskutiert wurde über islamrechtliche und religionsethische Fragen, die sich muslimische Mediziner_innen, Angehörige und Patient_innen in intensivmedizinischen Akutsituationen stellen.
Nach der Begrüßung durch die AIWG begann die Veranstaltung mit einem Impuls des Mediziners und Initiators des Roundtable Dr. Assem Aweimer. Als Oberarzt für Innere Medizin und Kardiologie am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum sehe er sich immer wieder in akut-intensivmedizinischen Situationen einem Ermessens- und Entscheidungsdruck im Spannungsfeld zwischen medizinischer Indikation, Gesetzen, Moral und Religion ausgesetzt. Als Arzt stehe er regelmäßig vor mehreren medizinisch indizierten Handlungsoptionen, die zwischen Leben und Tod bestimmen. Patient_innen und Angehörige würden nicht die Indikation an sich bestimmen, wohl aber die damit verbundenen Therapieoptionen. Dabei orientierten sich manche Muslim_innen an religiösen Lehren. Daher bestehe ein Bedarf an medizinethischen Antworten und Hilfestellungen aus islamtheologischer Perspektive.
Laut Prof. Dr. Serdar Kurnaz, Professor für Islamisches Recht in Geschichte und Gegenwart an der Humboldt-Universität zu Berlin, gebe es zwar einzelne Arbeiten und Forschungen zu medizinethischen und -rechtlichen Fragen in Deutschland. Zugleich verwies er aber auf einen Forschungsbedarf auf dem Gebiet und dessen Einbettung in eine medizinethische Gesamtdiskussion.
Vonseiten der muslimischen Community sei eine klare Erwartungshaltung beim Thema zu beobachten, welche sich an einem binären „erlaubt“/„nicht-erlaubt“ Schema orientiere. Es werde also eine „islamische Lösung“ nachgefragt. Kurnaz stellte hier die Frage, was an dieser Diskussion das genuin Religiöse sei.
Trotz einer kritischen Diskussion insbesondere zur Grundfrage danach, ob Religion in die medizinische Sphäre eingreifen solle, waren sich die Teilnehmenden einig, dass zumindest ein fachlicher Austausch zwischen Mediziner_innen und Wissenschaftler_innen der islamisch-theologischen Studien wünschenswert sei.
Die Teilnehmenden wünschten sich weitere Vernetzungstreffen und regten an, einen Leitfaden zum Thema zu erstellen.
Über den AIWG-Roundtable
Der AIWG-Roundtable bietet eine Plattform für den intensiven, vertrauensvollen Austausch und die Entwicklung von Lösungen zu gesellschaftsrelevanten Fragen des Islams in Deutschland. Weitere Informationen finden Sie hier.