Mai-Workshop stellt den Koran in den Fokus
Mitte Mai hat die AIWG ihren dritten Workshop zum zehnjährigen Jubiläum der islamisch-theologischen Studien ausgerichtet. Die digitale Workshopreihe hat in der dritten Runde den Koran in den Fokus gestellt.
Der Titel des Workshops „Koran im Fokus“ wurde von den Referent_innen immer wieder aufgegriffen, um die sogenannte „Zentralisierung“ des Korans in akademischen und bekenntnisorientierten Diskursen zu hinterfragen. Schon im Grußwort stellte der Workshopleiter, Prof. Dr. Serdar Kurnaz, Humboldt Universität zu Berlin, die grundlegende These auf, dass der Koran nicht immer im Fokus des Islam gestanden habe, wie es gegenwärtig der Fall sei. Seine These hat Prof. Dr. Ömer Özsoy, Professor für Koranexegese an der Goethe-Universität Frankfurt, im ersten Panel aufgegriffen, der wiederum feststellte, dass erst ein Abschied vom historischen Koran eine Koranzentriertheit ermögliche. Özsoy führte aus, dass der Koran nicht etwa eine Sammlung von kontextunabhängigen Geboten sei, die von Gläubigen „wie eine To-Do-Liste“ in alltäglichen Fragen zu Rate gezogen werden könne. Die Zielsetzung des Korans sei, so Özsoy, dialogisch und nicht anleitend.
Daran anschließend erläuterte Prof. Dr. Johanna Pink, Universität Freiburg, dass der Koran in der Moderne eine andere Bedeutung für Menschen muslimischen Glaubens habe, als in der frühislamischen Zeit. Zum Teil diene der Text sogar als Waffe, um sich gegen die westliche Überlegenheit zu schützen. Dies gelte vor allem für sogenannte Islamische Modernisten wie Muhammad Abduh (ägyptischer Rechtsgelehrter). Die verstärkte Zentriertheit des Korans lasse sich auch aus dem Boom von Koranübersetzungen in alle möglichen Sprachen herauslesen.
Am zweiten Tag ging es weiter mit einer Zeitreise, um zu reflektieren, wie sich verschiedene Diskurse der Koranexegese von der frühislamischen Zeit bis heute gewandelt haben. Diese Diskussion fand ihren Höhepunkt in der Vorstellung des Einsatzes von Digital Humanities in der modernen Koranexegese am Beispiel des Forschungsprojekts Linked Open Tafsir. Dr. Misbahur Rehman, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Longtermforschungsgruppe, erklärte die online abrufbare Datenbank frühislamischer exegetischer Überlieferungen, die im Projekt entsteht.
Hermeneutischer Schlüssel und das normative Verständnis des Korans
Dr. Abdelaali El-Maghraoui, Universität Tübingen, konstatierte: „Wenn wir Studierende der islamisch-theologischen Studien fragen würden, welche Rolle der Koran für das islamische Normensystem spielt, würde die Antwort vermutlich lauten, dass es die erste, vornehmste Quelle sei, aus der islamisch-normative Bestimmungen abgeleitet werden.“ Diese Aussage ließe sich aus den meisten Einführungen in das islamische Recht herauslesen, sei aber trotzdem, so El-Maghraoui, eine stark vereinfachte Darstellung dieser komplexen Tatsache. Seine Abhandlung des Korans als Normenquelle diskutierte er auf hohem fachwissenschaftlichen Niveau. Die Zentriertheit des Korans schränkte er allein durch die Andeutung ein, dass diese in den Diskursen der Koranexegese immer unterschiedlich hoch bemessen sei.
Den Abschluss des Workshops bildete ein Panel zum Thema Exegese und Gender, in dem die vorigen Diskussionen über die Diskurse zu Zentralität, Normativität und Wandelbarkeit von Exegese aufeinandertrafen. Dr. Dina El Omari, Universität Münster, stellte einen hermeneutischen Schlüssel nach Amina Wadud vor, der helfen könne, von den patriarchalischen Lesarten und von einem starren Textverständnis wegzukommen. El Omari demonstrierte das hermeneutische Vorgehen und wendete den Schlüssel auf die Koranverse 55: 56-58 und 70-74 an. Danach ging sie auf die Schwierigkeiten und Schwachstellen bei dessen Anwendung ein. Daran anknüpfend griff Dr. Ali Ghandour, Universität Münster, zwei weiterführende Fragen auf:
- Inwieweit prägen der Koran und die Diskurse darum das Themenfeld „Gender“?
- Muss der Koran in dieser Hinsicht überhaupt berücksichtigt werden?
#10jahreITS
Der nächste Workshop zum zehnjährigen Jubiläum der islamisch-theologischen Studien in Deutschland findet am 1. und 2. Juli unter der Leitung von Prof. Dr. Fahimah Ulfat, Universität Tübingen, statt. Das Programm wird in Kürze bekanntgegeben. Anmeldungen sind bereits möglich unter: https://aiwg.de/digitale_workshopreihe_10jahre_its/#Anmeldung
Ausgewählte Programmpunkte der einzelnen Workshops veröffentlicht die AIWG sukzessive auf ihrem YouTube-Kanal. Einzelne Panels und Diskussionen unserer Auftaktveranstaltung im März können bereits hier nachgeschaut werden.