Reading Weekend bringt Religionspädagog_innen an einen Tisch
Am 30. und 31. August 2021 kamen islamische, evangelische und katholische Religionspädag_innen in der Katholischen Akademie Schwerte zum AIWG Reading Weekend zusammen. Gemeinsam tauschten sich die 16 Teilnehmer_innen zwei Tage lang über „Professionalisierungsvorstellungen von Religionslehrkräften in den Religionspädagogiken“ aus.
Zentrales Thema hierbei war die Positionierungen von islamischen Religionslehrkräften zu anderen Religionen in Beziehung zur Differenzhermeneutik in den christlichen Religionspädagogiken. Wissenschaftler_innen der Universität Paderborn hatten das Reading Weekend mit Beteiligung von Kolleg_innen aus Berlin (Humboldt Universität) und Osnabrück ausgerichtet. Frau Dr. Kamçılı-Yıldız war Leiterin des Reading Weekends, dessen thematischer Ansatz, sowie die heterogene Teilnehmer_innen-Gruppe einen interdisziplinären und interreligiösen Austausch, ermöglicht hat.
Grundlage der Diskussionen des zweitägigen Reading Weekends bildeten die 2019 veröffentlichten Publikationen:
- Islamische ReligionslehrerInnen auf dem Weg der Professionalisierung von Mehmet H. Tuna
- Grundlagen interreligiösen Lernens von Karlo Meyer
Am ersten Tag standen die zentralen Ergebnisse der Dissertation von Dr. Mehmet H. Tuna, Universität Innsbruck, im Vordergrund. In seinem Impulsvortrag gab er einen kurzen Überblick über seine qualitative Studie, für die er islamische Religionslehrkräfte in Österreich interviewt hat und stellte die von ihm vorgenommene Typenbildung vor.
Religionslehrkräfte im Spannungsfeld divergierender Erwartungen
Daran anknüpfend diskutierten die Teilnehmer_innen darüber, welches Verhältnis Theologie und Pädagogik in der Religionslehrer_innenbildung spielen sollte. Die Ergebnisse Tunas zeigen, dass je nach Ausbildungsweg der Religionslehrkräfte eine starke Inhaltsorientierung oder methodische Vielfalt bei der Unterrichtsgestaltung bevorzugt wird. Auch stehen islamische Religionslehrer_innen in einem Spannungsfeld aus divergierenden Erwartungen, die vonseiten der Eltern, Schüler_innen, Kolleg_innen oder Religionsgemeinschaften an sie herangetragen werden. Daran anschließend lag ein wichtiger Diskussionsstrang auf der Frage, welches Wissen von Lehrenden an die Studierenden in der universitären Lehrer_innenbildung vermittelt werden sollte und welcher Zusammenhang zwischen Überzeugungen/Werthaltungen (individuelle Kognitionen) und Wissen besteht.
Neue Forschungsansätze
Mit einem bildungswissenschaftlichen Zugang erweiterte Dr. Carina Caruso, Universität Paderborn, die Perspektive, indem sie aktuelle Professionalisierungsansätze auf die Religionslehrer_innenbildung übertrug, wie etwa den berufsbiografischen, den strukturtheoretischen und den kompetenzorientierten Ansatz. Dabei wurde deutlich, dass für die islamische Religionslehrer_innenbildung der berufsbiografische Ansatz eine größere Bedeutung zu haben scheint. Aktuellere Studien zeigen die Verwobenheit der Studierenden mit ihrer gelebten Religiosität. Die starken Säkularisierungstendenzen im Christentum sowie eine Versachkundlichung des christlichen Religionsunterrichts scheinen in der islamischen Religionspädagogik eine geringere Rolle zu spielen.
Abgerundet wurde der erste Tag des Reading Weekends mit einem Kurzimpuls von Prof. Dr. Karlo Meyer, Universität des Saarlandes, zur Differenzhermeneutik in interreligiösen Lehr- und Lernprozessen. Prof. Dr. Meyer verwies dabei auf die Bedeutung des Ambiguitätsmanagements gerade in der Hochschullehre. Im Anschluss daran wurde die Frage diskutiert, wie Universitäten die Bereitschaft zur Ambiguitätstoleranz fördern können.
Fazit und Ausblick
Prof. Dr. Angela Kaupp von der Universität Koblenz eröffnete den zweiten Tag mit einem Kurzimpuls zum emotionalen Lernen und stellte Erkenntnisse aus der Neurobiologie in den religionspädagogischen Diskurs. Daran schloss sich ein Impuls zur Positionalität von Prof. Dr. Jan Woppowa, Universität Paderborn, an. In der Diskussion wurde deutlich, dass beide Aspekte in der derzeitigen religionspädagogischen Professionalisierungsforschung wenig beachtet werden. Die intensiven Gespräche während des Reading Weekends haben gezeigt, dass sich der Bezug zur gelebten Religiosität zwischen christlichen und muslimischen Studierenden grundlegend unterscheidet. Während Studien belegen, dass im islamischen Kontext ein starker Bezug zum Glauben vorherrscht, ist in christlichen Milieus eine schwindende Konfessionalität zu verzeichnen.
Die Abschlussdiskussion zeigte: An den Hochschulen fehlen in allen Religionspädagogiken Gesprächspartner_innen, die die Studierenden während ihres beruflichen Werdegangs begleiten und ernstnehmen. Es fehlen auch Milieus, in denen das Gefühl von sozialer Nähe entstehen kann und Studierende ihre Überzeugungen mit anderen diskutieren können. Die gelebte Religiosität und der Zugang zum Glauben wirkt sich zudem auf den Unterricht aus: Islamische Religionslehrkräfte streben im Religionsunterricht eine Glaubensvermittlung an, während bei christlichen Religionslehrkräften sachkundlich-distanzierende Zugänge dominieren. Trotz gegenläufiger Entwicklungen in den einzelnen Religionen bleibt für alle Religionspädagogiken die Frage nach dem Stellenwert der religiösen Tradition und die individuelle Positionierung für die Zukunft des Religionsunterrichts richtungsweisend.
Über das AIWG Reading Weekend
Die AIWG-Reading Weekends ermöglichen Angehörigen der islamisch-theologischen Studien, sich ein Wochenende lang intensiv mit Autor_innen, Werken, Theorien und Methoden auseinanderzusetzen, die relevant für grundlegende Forschungs- und Diskursfelder des Faches sind. Weitere Informationen finden Sie hier.