Was ist toxisches Verhalten? Training und Interview mit der Konfliktberaterin Karina Hagemann
Viele Teilnehmer_innen unseres Promovierendenforums haben Erfahrungen mit toxischem Verhalten in der Universität gemacht. Die Konfliktcoachin Karina Hagemann hat am 6. November deshalb ein Training mit den Promovierenden durchgeführt. Ziel des Workshops war, für das Thema zu sensibilisieren und den Betroffenen ein Handwerkszeug mitzugeben, um sich gegen toxisches Verhalten wehren zu können.
Eine Promovendin bestätigte die zunehmende Normalisierung von toxischem Verhalten in der Hochschule. Sie sagte zum Ende des Workshops, es sei gut zu wissen, dass toxisches Verhalten eben nicht normal sei und dass sie dieses nicht durch vermeintlich unzulängliche Leistung provoziere. Auch andere Teilnehmer_innen berichteten, dass sie erleichtert seien, dass sie dieses Problem nun benennen könnten und dass sie nicht alleine betroffen seien.
Im Vorfeld des Workshops haben wir Karina Hagemann einige Fragen zu toxischen Verhaltensweisen im Hochschulkontext gestellt. Im Gespräch mit uns benennt sie Machthierarchien als eine Ursache für toxisches Verhalten. Dass Opfer eine Mitschuld trügen, weist sie zurück. Sie empfiehlt Betroffenen, das Steuer nicht aus der Hand zu geben.
Frau Hagemann, welche möglichen Konfliktfelder gibt es in der Hochschule?
Da gibt es natürlich alles Mögliche: Wenn Studierende in Gruppen oder zusammen mit dem Professor arbeiten. Wenn eine Note nicht passt. Oder auch, wenn ich Hiwi bin und mich mit meinen Kollegen nicht verstehe. Das hat aber noch nichts mit toxischen Verhaltensweisen zu tun.
Wann spricht man von toxischem Verhalten?
Etwa dann, wenn eine Person grenzüberschreitend ist. Obwohl ich sage, dass ich etwas nicht machen möchte, und die Person trotzdem immer weiter pusht und kein Nein akzeptiert. Ein anderer Fall ist, wenn man ständig kritisiert wird. Berechtigte Kritik ist gut. Wenn aber nie etwas Positives kommt und die Probleme des Gegenübers kleingeredet werden, ist das toxisch. Beispiel Universität: Eine Betreuung kann toxisch werden, wenn die Person ihre Machtposition einsetzt, um dem Studierenden immer noch weitere Aufgaben aufzuhalsen, die nie Teil des Umfangs der Arbeit waren.
Geht toxisches Verhalten eher von einer Lehrperson aus?
Ja, denn Bewertung und Hierarchie liegen im Unikontext nah beieinander. Gleichzeitig gibt es weniger Arbeitsrechte als in anderen Feldern. Arbeitnehmerrechte sind genauer definiert als die Rechte von Studierenden und Promovierenden. Doktorandinnen und Doktoranden kriegen beispielsweise 66-Prozent-Verträge und trotzdem erwartet man von ihnen, dass sie 120 Prozent Anwesenheit zeigen.
Sind enge Beziehungen also anfälliger? Ist Nähe per se ein Problem?
Nein, gar nicht. Es kann auch sein, dass eine tolle Mentoring-Beziehung zwischen Betreuungsperson und Studierender oder Promovierendem entsteht. Das liegt an der persönlichen Reife von beiden.
Geht toxisches Verhalten auch in die andere Richtung?
Toxisches Verhalten kann auch auf Augenhöhe passieren. Wenn eine Kollegin oder ein Kollege heute freundlich ist und morgen vor Wut kocht. Oder auch, wenn jemand versucht, den anderen zu manipulieren. Ständig kritisieren, etwas schlechtreden, lästern und Geheimnisse weitererzählen, nicht vertrauenswürdig sein: Das sind auch toxische Verhaltensweisen. Die fallen nur nicht so sehr ins Gewicht wie das Verhalten von Vorgesetzten, die mehr Macht haben. Und natürlich kann toxisches Verhalten ebenso in die andere Richtung gehen: in der Hierarchieleiter von unten nach oben. Das ist nur wesentlich seltener. Passive Aggression kann übrigens auch ein Zeichen von toxischem Verhalten sein.
Was ist das?
Passive Aggression ist, wenn Menschen sich nicht trauen, frontal aggressiv zu sein. Und stattdessen ironische und sarkastische Kommentare machen. Ein Funken Wahrheit ist bei den Aussagen aber meist mit dabei und deutet darauf, was der andere wirklich denkt. Die Person sagt dann Sachen wie: „Das war nur ein Scherz. Verstehst du keinen Spaß?“ Bei Führungskräften ist dieses Verhalten eher unwahrscheinlich, weil sie eine Machtposition haben.
Wer wird in der Uni hauptsächlich Opfer von toxischen Verhaltensweisen?
Aus meiner Sicht sind vor allem die betroffen, die eine Abschlussarbeit schreiben: Bacheloranden, Masteranden, Doktoranden. Bei letzteren ist es nochmal anders, weil ihre Arbeit länger geht. Wenn sich toxisches Verhalten ungewöhnlicherweise erst nach anderthalb Jahren zeigt, dann hat man schon viel Zeit in die eigene wissenschaftliche Karriere und wissenschaftliche Arbeit investiert. Wichtig dabei: Es hat auf jeden Fall sehr wenig mit der Person zu tun, die betroffen ist. Das ist wirklich die andere Person, die keine innere Stabilität besitzt. Sie stabilisiert sich konsequent dadurch, dass sie andere destabilisiert. Ein System wie die Hochschule begünstigt das: große Freiheiten, wenige Kontrollinstanzen und es besteht eine starke Abhängigkeit voneinander. Das ist ein Nährboden für toxische Personen.
Was können Betroffene in einer solchen Situation tun?
Zum einen ist es wichtig, dass man die eigenen Grenzen und Prioritäten kennt. Oft merken Personen, dass sie dich ausnutzen können. Ich habe das selber schon erlebt: Wenn man eine billige Arbeitskraft zur Verfügung hat und sieht, dass sie sich nicht wehrt, kann man immer mehr einfordern. Es ist deshalb wichtig, regelmäßig zu kommunizieren, was man machen will und was nicht. Man muss auch die eigenen Batterien immer wieder aufladen. In einer toxischen Beziehung fokussiert man viel mentale Energie auf diese Beziehung. Aber die ist nicht alles im Leben. Ablenkung hilft: Zum Beispiel mit Freunden und Familie, mit einem Hobby oder durch Ruhe.
Was empfehlen Sie noch?
Wenn ich betroffen bin, bin ich nicht Opfer. Es ist wichtig, sich zu jeder Zeit auf den Fahrersitz zu setzen und eigene Entscheidungen treffen. Im Englischen sagt man, „I am in the driver‘s seat“. Wenn meine Lieblingsstraße gesperrt ist, dann fahre ich halt einen Umweg. Ja, der dauert länger und ja, der ist vielleicht ätzender. Aber es bringt nichts, bestimmte Sachen ewig mit sich machen zu lassen. Das gilt auch für andere Faktoren im Leben: Ich habe immer das Steuer in der Hand.
Das Interview führte Simon Schwarz.
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Karina Hagemann
Karina Hagemann hat Wirtschaftsingenieurswesen und Wirtschaftspsychologie studiert. Sie arbeitet als Coachin und Mediatorin und ist Expertin für Konfliktlösung.