Wittgenstein für die Islamische Theologie fruchtbar machen
Einen der wohl wichtigsten Denker der Moderne hat das AIWG Reading Weekend am 11. und 12. Dezember an der Universität Erlangen-Nürnberg in den Blick genommen: Ludwig Wittgenstein. Die Rezeption der Werke Wittgensteins stehen in der Islamischen Theologie noch aus. Das interreligiös und interdisziplinär ausgerichtete Lesewochenende „Wittgenstein und Religion“, unter der Leitung von Dr. Farid Suleiman, Universität Greifswald, und Prof. Dr. Mira Sievers, Berliner Institut für Islamische Theologie, wollte daher nun erste Impulse setzen.
Die Diskussionsgrundlage bildeten Texte des Philosophen aus dem (1) „Blue Book“, (2) verschriftlichte Konversationen zwischen Wittgenstein und seinem Schüler Rush Rhees, sowie (3) Abschnitte aus seinen Philosophischen Untersuchungen.
Wittgenstein ist Forschungsdesiderat in den islamisch-theologischen Studien
Ludwig Wittgenstein gehört zweifellos zu den wichtigsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Durch seine beharrliche Auseinandersetzung mit der Verwobenheit von Sprache, Denken und Handeln und die damit einhergehende Kritik an der traditionellen Philosophie hat er zu einem Paradigmenwechsel aufgefordert, der hinsichtlich seiner Radikalität und seines revolutionären Potentials auf einer Stufe mit der ‚Kopernikanischen Wende‘ durch Immanuel Kant steht. Seine Bedeutung für die christliche und jüdische Theologie wird bereits seit Jahrzehnten untersucht, doch im Hinblick auf die Islamische Theologie finden sich bislang keine wissenschaftlichen Arbeiten hierzu. So lag das Ziel des Wochenendes darin, erste innerdisziplinäre Impulse für eine breitere Rezeption Wittgensteins zu setzen. Die durch ihn vorangetriebene sprachpragmatische Wende setzt sich derart tiefgehend mit religiösen Aspekten auseinander, dass diese für alle Subdisziplinen der Islamischen Theologie Relevanz besitzen kann.
Zu den wichtigsten Punkten, die im Rahmen des Reading Weekends diskutiert wurden, gehören Wittgensteins Auffassung von Sprache. Dabei wendet er das vorherrschende Credo, wonach die Alltagssprache ungeordnet und chaotisch, die Philosophensprache hingegen präzise und in sich kohärent sei, in sein Gegenteil um. Demnach beschäftigten sich die Philosophie und die Theologie überwiegend mit Problemen, die sich nicht lösen, sondern nur auflösen ließen, indem Wörter nicht im Abstrakten definiert, sondern ihre Rolle in der Alltagssprache und ihre Verwobenheit mit spezifischen Kontexten menschlicher Praxis reflektiert würden.
Wittgenstein macht zudem darauf aufmerksam, dass religiöse Sprache anders zu charakterisieren sei als zum Beispiel die Sprache über Gegenstände in der Welt; auch wenn zwischen beiden Gemeinsamkeiten bestünden. In der philosophischen und theologischen Auseinandersetzung mit religiöser Sprache würden diese Unterschiede oftmals übersehen. So kann Wittgensteins Denken als eine Aufforderung an die Theologie verstanden werden, die Rede von und über Gott nicht auf ausgewählte Merkmale zu reduzieren, sondern sie vielmehr in ihrer ganzen Breite auf ihre Einbettung in das Leben religiöser Menschen zu reflektieren.
Zusammenfassend eröffnete das Reading Weekend nicht nur neue Horizonte, sondern auch über die Veranstaltung hinausgehende Anknüpfungspunkte für die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Über das AIWG Reading Weekend
Die AIWG-Reading Weekends ermöglichen Angehörigen der islamisch-theologischen Studien, sich ein Wochenende lang intensiv mit Autor_innen, Werken, Theorien und Methoden auseinanderzusetzen, die relevant für grundlegende Forschungs- und Diskursfelder des Faches sind. Weitere Informationen finden Sie hier.