Moscheearchive als kulturelles Gedächtnis des Islams in Deutschland
Am 09. Dezember hat die AIWG ihren 28. Roundtable zum Thema „Das (kulturelle) Gedächtnis des Islams in Deutschland – Archive und Dokumentationen islamischer Verbände und Moscheegemeinden“ veranstaltet. Der Roundtable mit 24 Teilnehmenden hat gezeigt, Archive von Moscheegemeinden bergen ein großes Potenzial für die Forschung zu muslimischen Lebens in Deutschland. Neben Wissenschafter_innen und Archiv-Expert_innen nahmen an der Diskussionsrunde Vertreter von islamischen Dachverbänden und der muslimischen Zivilgesellschaft teil.
Prof. Dr. Gerdien Jonker von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Pionierin in der Erforschung von Moscheearchiven, eröffnete den Roundtable mit einem Impulsvortrag. Sie thematisierte, wie sie das Moscheearchiv der Ahmadiyya-Lahore Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf, der ersten festen Moschee in Deutschland (gebaut 1924-1928), erschlossen und im Landesarchiv Berlin der Forschung zugänglich gemacht hatte. Sie wies auf die sinnstiftende Wirkung von Moscheearchiven hin und betonte, dass diese Befunde Erkenntnisse darüber bieten, wie Muslim_innen in Deutschland gelebt und gearbeitet haben. Mithilfe dieser Befunde könnten auch Muslim_innen ihre Geschichte aus der Binnenperspektive erzählen. Professorin Gerdien Jonker verdeutlichte den Vertretern der muslimischen Zivilgesellschaft in ihrem Impuls, wie wichtig es sei, solche Befunde zu sichern.
In einem zweiten Impulsvortrag berichtete Eyüp Kaylon, Sprecher des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland (KRM), dass Moscheearchive auch die Geschichte des sozialen Engagements von Muslim_innen und ihren Gemeinden nachzeichnen. Sie verschaffen Einblicke in den muslimischen Alltag und präsentieren, mit welchen gesellschaftlichen und theologischen Fragen sie sich in unterschiedlichen Zeiten auseinandersetzten. Von den Teilnehmer_innen wurde ergänzt, dass Verbände wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz DITIB, der Zentralrat der Muslime in Deutschland und der KRM seit den 1970er-Jahren Archive angelegt haben. Dokumente wie Gründungsurkunden, der Briefverkehr zwischen staatlichen Einrichtungen und Fotodokumentationen seien teils gesichert worden, weisen aber auch Leerstellen auf und müssten systematisch erschlossen werden. Es wurde auch betont, dass es wichtig war, diese Geschichte für die Folgegenerationen zu bewahren.
In der anschließenden Diskussion zeigten die Vertreter_innen aus der muslimischen Zivilgesellschaft ihr Interesse an der wissenschaftlichen Begleitung der eigenen Archivbestände und den Bedarf an einer wissenschaftlichen Erschließung. Dabei seien vorab aber noch einige Fragen zu klären:
- Wie sollte mit lückenhaften Beständen umgegangen werden?
- An welche Institutionen sind Archivbestände möglicherweise abzugeben?
- Wie ist mit persönlichen Daten in den Beständen umzugehen?
Darüber hinaus diskutierten die Teilnehmer_innen darüber, ob es eine zentrale Sammelstelle, oder zumindest eine zentrale Anlaufstelle für Fragen zur Aufbewahrung, Digitalisierung, Systematisierung und Kategorisierung der eigenen Bestände geben sollte.
Erinnerungskultur stärken
Neben der Sicherung von Archivbeständen wurde betont, dass jüngere Generationen zum Thema „Moscheearchive“ sensibilisiert werden müssten. Seitens der islamischen Verbände wurde von zahlreichen Projekten berichtet, die die Erinnerung an die Geschichte der Selbstorganisation von Muslim_innen in Deutschland zum Ziel haben. Darüber hinaus machten die Teilnehmenden darauf aufmerksam, wie wichtig es sei, Fort- und Weiterbildungen in den Archivwissenschaften anzubieten.
Teamarbeit zwischen Inhaber_innen von Archivmaterialien und Wissenschaft
Die Teilnehmer_innen des Roundtables waren sich darüber einig, dass eine umfangreiche Repräsentanz der Geschichte muslimischen Lebens in Deutschland nur in Zusammenarbeit mit denjenigen gelingen kann, die Archivmaterialien haben. Zudem werfen Archive aus der „Innenperspektive“ neue Fragen für die Wissenschaft auf und können wichtige Synergien ermöglichen. Einige Teilnehmer_innen äußerten auch etwaige Bedenken und wünschten sich einen sensiblen Umgang mit ihren Archivbeständen. Von allen Beteiligten wurde der Wunsch über einen weiterführenden Austausch und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit geäußert. Eine Auswertung von Archivmaterialien wurde als Möglichkeit beschrieben, die Geschichte des Islams in Deutschland, um einige neue Kapitel zu erweitern und in neue Zusammenhänge zu setzen. Der Roundtable ermöglichte den Austausch und die Vernetzung zwischen der Wissenschaft und den islamischen Verbänden. Die AIWG bot in der Hinsicht auch weiterhin ihre Unterstützung an.
Über den AIWG-Roundtable
Der AIWG-Roundtable bietet eine Plattform für den intensiven, vertrauensvollen Austausch und die Entwicklung von Lösungen zu gesellschaftsrelevanten Fragen des Islams in Deutschland. Weitere Informationen finden Sie hier.